Schon oft war eine Gruppe von Birkfeldern in den 13 Jahren der Partnerschaft zwischen unserer oststeirischen Pfarre und der im Westen Rumäniens gelegenen Pfarre Otelec aufgebrochen. Doch der letzte Besuch im Mai sollte ganz anders verlaufen, als noch ein Monat davor geplant gewesen war. Ursprünglich sollten die 6 Männer und 2 Frauen unserer kleinen Reisegruppe das erste Mal miterleben können, wie in dieser zu 90 % von Ungarn bevölkerten Banater Ortschaft die ca. 20 Maibäume feierlich "umgelegt" werden. Doch statt mit den rumänischen Freunden zu feiern, war diesmal Anteilnahme an der im Ort herrschenden Trauer und Verzweiflung sowie die Erörterung von Hilfsmöglichkeiten der Zweck dieser Reise.
Denn innerhalb einiger Tage in der letzten Aprilwoche hatten gewaltige Überschwemmungen des 25 km entfernt dahin fließenden Timis-Flusses drei Viertel des Dorfes heimgesucht. Tag für Tag stürzten immer mehr Häuser in sich zusammen, da ihr Baumaterial aus luftgetrockneten, ungebrannten Lehmziegeln bestehend- vom Wasser aufgeweicht worden war. Seit Bestehen des Ortes war das Dorf niemals von der Timis überflutet worden, und niemand hätte so etwas für möglich gehalten. Doch auf den Bergen der Westkarpaten lag Mitte April noch 2 Meter Schnee, der durch lang andauernde Regenfälle sehr rasch schmolz. Das führte zu gewaltigen Wassermassen in ganz Westrumänien und zahlreiche Flüsse traten aus ihren Ufern. Am ärgsten aber war die Situation an der Grenze zu Serbien, wo durch einen Dammbruch, der 3 Wochen lang nicht geschlossen werden konnte, der Timis-Fluss seine Fluten in die Ebene des westlichen Banats ergoss und 90 000 ha Land unter Wasser setzte. 5 Ortschaften waren besonders stark vom Hochwasser betroffen, darunter als nordöstlichste auch Otelec.
In Teilen des Ortes stand das Wasser eineinhalb Meter hoch und auch bei unserem Besuch Mitte Mai war der Wasserstand noch kaum gesunken. Von den 380 Häusern des rund 800 Einwohner zählenden Dorfes waren 200 total zusammengestürzt, rund 100 schwer beschädigt, nur der nördliche Ortsteil rund um die Kirche und das mit tatkräftiger Birkfelder Hilfe in den 90er-Jahren erbaute Pfarrhaus war trocken geblieben.
Bei unserem Eintreffen im Nachbarort Uivar, zu dem Otelec zur Zeit noch als Katastralgemeinde gehört, fiel uns sofort die ungewohnt große Menge an Leuten auf den Straßen auf. Bald erfuhren wir auch den Grund: Ein großer Teil der in den überschwemmten Dörfern obdachlos gewordenen Menschen, hat hier Unterkunft gefunden und wird auch hier mit den notwendigsten Dingen versorgt. Das Kulturhaus ist zu einem riesigen Warenlager umfunktioniert worden, in dem die aus dem ganzen Land zahlreich ankommenden Hilfsgüter gelagert, sortiert und verteilt werden. Zahlreiche Otelecer helfen dabei mit und sorgen für eine gerechte Aufteilung der eingetroffenen Lebensmittel und Hygieneartikel.
Nachdem wir bei einer Familie des Dorfes unser Quartier bezogen hatten, legten wir mit bangen Herzen die letzten 8 km bis Otelec zurück. Auf den Bildern, die uns durch Internet von der Caritas Temesvár zugesandt worden waren, hatten wir schon eine Ahnung vom Ausmaß der Flutkatastrophe bekommen, aber was wir dann sahen, war noch viel schlimmer als wir gedacht hatten. Wie aus einem riesigen See erhoben sich Teile der zusammengestürzten Gebäude, von manchen Häusern, in denen wir oft die große Gastfreundschaft der Rumänen bzw. Ungarn genossen hatten, war nichts mehr zu sehen. Auch die wenigen Häuser, in die das Wasser nicht eingedrungen war, zeigten an den Wänden deutliche Spuren von Feuchtigkeit, die aus dem mit Wasser voll gesaugten Boden aufstieg.
Der ehemalige Vizebürgermeister der Gemeinde, der Birkfeld mehrmals besucht hatte, führte uns durch Polizeiabsperrungen hindurch zum Bega-Kanal, wo die an den Vortagen aus Ungarn eingetroffenen 16 Pumpen zum Teil schon in Betrieb waren. Sie sollen das Wasser in diesen ebenen Gebieten ohne Abflussmöglichkeit in den Bega-Kanal pumpen, der in der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie zur Entwässerung dieses einstigen Sumpfgebietes angelegt wurde.
Während fast alle obdachlos gewordenen Otelecer in den Nachbardörfern oder in der Stadt Temesvár bei Freunden oder Bekannten ein festes Dach über den Kopf bekommen hatten, trafen wir am Damm eine Familie, die nach 3 Wochen noch immer in einem Zelt lebte, davor ausgebreitet die wenigen Habseligkeiten, die sie bei der Flucht vor dem Wasser mitnehmen hatten können.
Auf dem Weg zur Kirche konnten wir uns davon überzeugen, dass unsere Partnergemeinde nicht ihrem Schicksal überlassen wird, sondern zahlreiche Hilfsorganisationen ihre Arbeit leisten: Während die "Vier Pfoten" die Haustiere gegen verschiedene Krankheiten impften, säuberte eine rumänische Umweltschutzorganisation das Wasser von den vielen Tierleichen, um das Ausbrechen von Seuchen zu verhindern. Alle Bewohner der betroffenen Orte wurden gegen Hepatitis, Tetanus und Cholera geimpft. Die Caritas der Diözese Temesvár versorgt die Menschen , die teilweise alles in ihren Häusern zurücklassen mussten, mit Kleidung und Lebensmitteln.
Immer wieder treffen wir Bekannte und Freunde, die tagsüber ins Dorf kommen, um zu sehen, was aus ihren Häusern geworden ist und noch Brauchbares abtransportieren. Meist mit Tränen in den Augen erzählen sie uns, wie unerwartet diese Wassermassen auf das Dorf hereingestürzt sind und binnen weniger Stunden all das zerstörten, was sie sich in Jahren mühevoller Arbeit aufgebaut hatten. " Wie stolz waren wir, als wir im letzten Jahr in unserem Haus ein Bad und ein WC einbauen konnten- und nun ist unser ganzes Hab und Gut im Wasser versunken", erzählt uns eine Frau weinend, deren Sohn in den vergangenen Jahren zweimal zu Gast in Birkfeld war und bei denen auch schon öfters Besuch aus Birkfeld einquartiert war. So viel Leid zu sehen und geschildert zu bekommen betrübt auch uns sehr und tief betroffen verlassen wir am Nachmittag Otelec, um wieder nach Uivar zurückzukehren, wo wir bei Familie Szabo einquartiert sind. Herr Szabo, pensionierter landwirtschaftlicher Diplomingenieur, ist einer der 3 Gründerväter der Partnerschaft zwischen unseren beiden Pfarren.
In seinem Haus sitzen wir am Abend auch mit 4 Vertretern der Vereinigung "Pro Otelec" zusammen, einer Gruppe von ca. 30 Leuten, die sich die Entwicklung ihres Dorfes, die Hilfe für die Ortsbewohner in Krankheitsfällen und Notfällen und die Pflege des ungarischen Brauchtums zum Ziel gesetzt haben. Alle Anwesenden haben das selbe Schicksal: Ihr Haus ist im Wasser zusammengesunken. Wir berichten von der Hilfsbereitschaft vieler Birkfelder, die durch Geldspenden beim Wiederaufbau der zerstörten Häuser mithelfen wollen und übergeben erste Geldmittel. Neben der Hilfe durch Einzelpersonen wird auch unsere Pfarre ihren Anteil leisten, indem der Reinerlös des heurigen Pfarrfestes zur Gänze für unsere Partnergemeinde zur Verfügung gestellt wird. Auch die örtliche Feuerwehr und das Rote Kreuz werden einen Beitrag leisten.
Weitere Spenden auf das Konto 10454 BLZ 38023 bei der Raiffeisenbank Birkfeld werden mit Freude und Dankbarkeit vom Arbeitskreis "Birkfeld hilft Otelec" entgegengenommen.
Durch unsere finanzielle Hilfe hoffen wir den Leuten zeigen zu können, dass sie in dieser für sie so schwierigen Zeit von den Menschen in Österreich nicht vergessen werden.
In der gemeinsamen Hoffnung, dass das Wasser wenigstens im Laufe der nächsten Wochen abgepumpt werden, mit der Säuberung im Ort begonnen und in weiterer Folge wieder mit dem teilweisen Wiederaufbau begonnen werden kann, gehen wir spät in der Nacht auseinander.
Am nächsten Tag besuchen wir befreundete Familien, die wegen der Zerstörung oder Unbewohnbarkeit ihrer Häuser in den umliegenden Dörfern und Kleinstädten in Turnhallen, Altersheimen oder privat untergebracht worden sind. Dabei hören wir von ihnen immer wieder von der großen Hilfsbereitschaft sowohl von Seiten ihrer Landsleute als auch von Seiten ihrer ungarischen Nachbarn und anderer Länder.
"Wahre Freunde zeigen sich in der Not" - diesen Satz hören wir an diesem Tag öfters und unter diesem Motto wollen wir mit ganzer Kraft für unsere Freunde im kleinen rumänischen Dorf Otelec Hilfe organisieren.
Für den Arbeitskreis "Birkfeld hilft Otelec"
Walter Gissing