Autor: Henri
Datum: 31.05.06 16:12
Wie schon meine Vorschreiber (von Steluta mal abgesehen) eigentlich richtig sagen, alles hat seine Licht- und Schattenseiten.
Ich bin selbst vor etwas mehr als 2 Jahren ausgewandert nach Rumaenien, viele Flausen im Kopf, viele Ideen, ein wenig Naivitaet (oder etwas mehr) war auch dabei.
Wenn ich eine Zwischenbilanz ziehen sollte nach dieser Zeit macht sich doch eine gewisse Ernuechterung breit. Eines ist in jedem Falle voellig klar: Man braucht ein SEHR DICKES FELL, und ich meine wirklich extra dick, um hier in RO als Fremder klarzukommen. Das Problem ist, wenn man in Deutschland sein Leben bis dato verbracht hat, sind so viele Dinge selbstverstaendlich und du nimmst die in D gar nicht wahr, aber hier in RO fallen dir diese Sachen dann alle auf, weil sie entweder nicht da sind oder ganz anders gehandhabt werden.
Da waere zum einen mal der Verkehr. Also wir (meine Alis und ich) wohnen in Bukarest und was sich hier im Strassenverkehr abspielt, ist einfach krank. Es gibt faktisch keine Verkehrsregeln, auch Polizei in der Naehe bringt ueberhaupt nichts, die Beamten raffen ueberhaupt nichts und machen alles nur noch schlimmer, wenn die versuchen, den Verkehr zu "regeln", rote Ampeln werden penetrant ignoriert, an jeder beliebigen Kreuzung wird mit wildem Gehupe und mit noch mehr gotteslaesterlichem Gefluche um den besten der 8 Plaetze nebeneinander gekaempft, wo eigentlich nur 2 Fahrzeuge Platz haetten. Es ist die blanke Anarchie, die "Strassen" sind eine Aneinanderreihung von Loechern, die teilweise so gross sind, dass man einen Kleinwagen darin verstecken kann. Das mag man als aussenstehender ja noch witzig finden, ist es aber nicht, wenn man jeden Tag mindestens 2 Stunden fuer die Fahrten von und zur Arbeit braucht. Ich muss mich manchmal sehr schwer zusammenreissen, um nicht hin und wieder einfach mal einem kraeftig aufs Maul zu schlagen (hab schon ein paarmal zugesehen, wenn die Faeuste fliegen), der sich mal wieder in den letzten Millimeter vor mich quetscht, mir beinahe in die Seite faehrt und mich dann noch feist angrinst. Das ist schon hart und da braucht man SEHR VIEL LANGMUT um da nicht voellig auszurasten. Am Anfang habe ich auch nocht gedacht, och fahren die hier alle lustig, und natuerlich habe ich mich angepasst, aber mit der Zeit ist es einfach nur noch krank und ich ertappe mich dabei, mir mein altes Deutschland zurueck zu wuenschen, wo der Verkehr zwar auch nicht immer lustig ist, aber wenigstens halbwegs gesittet.
Und darueber hinaus haette jeder deutsche TUEV Mensch seine helle Freude am Stilllegen der Fahrzeuge, die hier noch rumfahren duerfen. Da fliegt einem alten Auto hier vor meinen Augen die komplette Hinterachse ab und kracht in den naechsten Wagen, der nicht mehr bremsen kann und einen schweren Unfall verursacht (auf der Strasse nach Ploiesti, selbst gesehen). Das mag in einem 30-er Jahre Slapstick komisch sein, wenn es vor deiner Nase auf der Strasse passiert, wird dir Angst und Bange. Von der endlosen Zahl an toten Hunden, die kein Mensch von der Strasse raeumt, mal ganz zu schweigen.
Und als naechstes kommen wir zum Banken- und Bezahlwesen. Wer jemals in Deutschland seine Miete oder andere Posten per Dauauftrag und Ueberweisung bezahlt hat, der weiss gar nicht, wie kostbar diese Errungenschaften sind, aber hier in RO wird es einem schlagartig klar.
Im Jahre 2006 des Herrn geht man immer noch persoenlich zur Telefongesellschaft, reiht sich in eine lange Schlange ein und wartet, bis man bezahlen darf. Gleiches gilt fuer Gas (wobei sich heraus stellt, dass die Gaswerke am anderen Ende der Stadt sind, man muss einen halben Tag Urlaub nehmen, um die Gasrechnung zu bezahlen), Strom, Heizung etc.
Man hat zwar ein Konto bei einer Bank (immerhin bekommt man eine Karte fuer den Bankautomaten), man kann aber beispielsweise nicht einfach Geld einzahlen, geschweige denn Dauerauftraege einrichten. Wem der Service bei einer deutschen Bank nicht gefiel, war noch nie in Rumaenien.
Um die Miete zu bezahlen, muss man sich mit seinem Vermieter treffen und in bar begleichen. Rechte als Mieter hat man aber deshalb nicht. Die meisten Miet"vertraege" sind inoffiziell, damit der Vermieter steuern spart, das heisst aber, der kann dich jederzeit rausschmeissen, die Miete Knall auf Fall um 20% erhoehen oder sich einfach weigern, Kosten fuer Reparaturen zu uebernehmen.
Grundeigentum kann man als Auslaender nicht erwerben, es sei denn, man hat eine rumaenische Firma gegruendet. Das ist jedoch relativ einfach, aber die Preise, zumindest hier in Bukarest, sind absolut jenseits von gut und Boese. Durch das virtuell vorhandene Geld (eine grosse Menge der Rumaenen kauft auf Teufel komm raus, alles auf Pump, nur haben, haben, haben) und der damit verbundenen kuenstlichen Nachfrage nach allem, was den Hauch von Luxus hat, sind die Preise hier auf einem Niveau, das seinesgleichen sucht, insbesondere wenn man dies in Relation zum durchschnittlichen Monatseinkommen stellt, das in etwa einem Drittel des deutschen Sozialhilfesatzes entspricht, also 200 Euro oder weniger (eine Freundin von uns, Lehrerin an einer Grundschule hier in Bukarest, hat ein Gehalt von 150 Euro)
Ein Auto kostet hier in RO im Schnitt 20% mehr als in D, es sei denn es ist ein Dacia (fahren nur die Rumaenen, die sich was anderes nicht leisten koennen), eine halbwegs mit D vergleichbare 3-Zimmer Wohnung kostet hier in Bucharest mindestens 500 Euro Kaltmiete, der Gaspreis stieg in einem Jahr um 600%, ein Liter Benzin kostet 1,20 Euro usw.
Klar, Grundnahrungsmittel sind billig und die Qualitaet von Obst und Gemuese besser als in Deutschland.
Und da waere ja dann noch der rumaenische Behoerdenschwachsinn. Also wirklich, ich hab ja in Deutschland schon so manchen Unsinn erlebt, hab mich auch manchmal ueber die Vorschriften geaergert und mir manchen Kommentar um des lieben Friedens willen verbissen.
Was sich aber in Rumaenien abspielt, das schlaegt wirklich dem Fass den Boden aus. Was man hier an Papierkram braucht, den man von vielen weitentfernten Stellen besorgen muss, ist einfach unbeschreiblich und "Pontius nach Pilatus" waere hier extrem geschmeichelt.
Allein um ein Finanzamtskonto fuer die Firma (wir beherbergen Touristen) zu eroeffnen, brauchte ich 12!! verschiedene ausgefuellte Formulare, begleitet von mehreren Dutzend Anlagen. Ein Auto anzumelden (wenn es denn Euro 3 hat), dauert MINDESTENS 4 WOCHEN !!!, in denen man immer wieder mit unterschiedlichen Papieren zwischen Polizei, RAR (rum. Strassenverkehrsamt), Zoll und anderen Behoerden pendeln muss. Mit Logik ist da nichts mehr zu machen, das ist nur noch der blanke Wahnsinn, gut, dass man dem ein oder anderen Behoerdenmenschen dann noch den ein oder anderen Schein zustecken darf, sonst ginge einfach gar nichts mehr.
Jetzt kann man sich natuerlich fragen, warum lebe ich dann noch hier, wenn alles so uebel ist?? Ist es ja nicht alles, es ist halt das alltaegliche Leben, dass einen schon zermuerben kann, die ganz profanen Dinge, die man in Deutschland gar nicht wahrnimmt, aber hier schmerzlich zu vermissen beginnt.
Und klar haben wir angefangen, uns hier etwas aufzubauen, das will man nicht alles wieder aufgeben... Und dann sind da ja auch noch die schoenen Dinge in Rumaenien:
Das Wetter ist hier um KLASSEN besser als in D. Sommer sind hier noch wirklich Sommer, mit heissen Monaten, endlos Sonne und wenig Regen. Winter sind hier noch mit Schnee und richtig kalt, nicht so ein nasskaltes Schmuddelgrau wie in D. Fuer mich ist das ein wirklich gewaltiger Grund, hier zu leben.
Und dann die Menschen... Herzliche Gastfreundschaft, wie man sie in Deutschland nicht mehr kennt, immer hilfsbereit, lachen viel und laut, geniessen das Leben anders, sind nicht so pingelig und griesgraemig.
Ob und wie man hier in RO leben will und kann, haengt hier noch sehr viel mehr von einem selbst ab, die Moeglichkeiten sind hier sicherlich groesser, aber auch riskanter... Ich bleibe jedenfalls die naechsten Jahre noch hier und schau mal, wie sich alles entwickelt. Hier ist noch viel Raum fuer Verbesserungen :), aber das Licht am Ende des Tunnels ist zu sehen....
Henri (und Alis als Rumaenin, die vielem von mir zustimmt)
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