Autor: Halcyon
Datum: 17.06.05 13:20
Viele Diskussionen hier drehe sich immer wieder um die Frage der unterschiedlichen Mentalität, sind osteuropäische Frauen liebevoller, häuslicher oder nur skrupelose Ausbeuterinnen, welche es nur auf die verbesserungen der eigenen Lebensbedürfnisse abgesehen haben?
Jeder Mensch hat ein eigenes Muster des Denkens, Handelns und Fühlens, das, im Wesentlichen schon während der frühen Kindheit erlernt wird, sich ständig weiterentwickelt. Dabei handelt es sich um ein tief verinnerlichtes, meist unbewusstes Muster, das unser gesamtes Denken, Fühlen und Handeln bestimmt - also auch so scheinbar selbstverständliche Dinge wie Grüßen, Essen oder Lachen. Die Ursprünge dazu liegen im sozialen Umfeld, in dem man aufgewachsen ist und Lebenserfahrungen gesammelt hat. Man kann davon ausgehen, dass Menschen, die in der gleichen sozialen Umgebung aufwachsen, ähnliche Denk- und Empfindungsmuster entwickeln. Kultur ist also erlernt und nicht geerbt. Dies bedeutet nicht, dass alle Menschen einer Kultur gleich sind, aber sie besitzen ähnliche Grundmuster des Denkens, Handelns und Fühlens, zu denen dann persönliche Eigenschaften kommen, die jeden Menschen zu einem Individuum machen. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen denken, handeln und fühlen unterschiedlich, da sie eine andere ”mentale Ursprünge” mit sich tragen. Diese Unterschiedlichkeit gibt allerdings keiner Kultur das Recht, absolute und überall gültige Kriterien zu erstellen, um die Werte einer anderen Kultur zu beurteilen.
Dass Enttäuschungen vorprogrammiert sind, wenn die Partner/in derartigen Wunschbildern in der Realität nicht genügen, liegt auf der Hand. Eine Mindestanforderung für das Gelingen von interkulturellen Beziehungen ist daher in jedem Fall, dass der Beurteilung von anderen Kulturen Informationen über deren Normen und Regelungen vorausgehen. Dabei stellt sich aber die Frage, wie tief wir in eine andere Kultur eindringen und diese überhaupt verstehen können. Man kann zwischen verschiedenen Ausdrucksformen und Inhalten einer Kultur unterscheiden. Jede Kultur hat oberflächliche Ausdrucksformen, wie Gesten, Bilder und Wörter, die zunächst nur von Insidern - d.h. Menschen der gleichen Kultur - gedeutet werden können, die aber auch von Außenstehenden erlernt werden können. Ebenso können bestimmte Rituale gedeutet oder erlernt werden, wie zum Beispiel Begrüßungen oder Respekterweisungen. Hinter diesen mehr oder weniger oberflächlichen oder äußerlichen Ausdrucksformen stecken jedoch die nur schwer oder gar nicht erlernbaren Werte. Sie können allenfalls in bestimmten Situationen vom Handeln der anderen Person abgeleitet werden.
Es gibt eine Anzahl von psychologischen und sozialen Prozessen, die interkulturelle Begegnungen begleiten. Ist man sich dieser Prozesse bewusst, so wird der Umgang mit ihnen einfacher und man kann dem Neuen gegenüber aufgeschlossener auftreten. Die erste Phase zeichnet sich durch Euphorie aus. Vor und während der ersten Tage dominiert das oftmals berauschende Gefühl, Neues sehen und erleben zu wollen. Die ”neue Welt” wird als besonders interessant und aufregend eingestuft. In der zweiten Phase kommt es zum Kulturschock. Plötzlich stimmen die aus der eigenen Kultur gewohnten Werte nicht mehr; die Gesten und Rituale der Fremden werden nicht verstanden. Der Besucher merkt, dass seine ethnozentrischen Beurteilungsmechanismen nicht passen. In gewisser Weise ist der Besucher in ein Kindheitsstadium zurückversetzt, wo selbst einfachste Dinge wieder gelernt werden müssen (z.B. Begrüßen, Bedanken, Handeln beim Einkaufen, etc.). Diese Unsicherheit führt häufig zu Frust- und Stresssituationen und resultiert in Hilflosigkeit und Reserviertheit oder gar Ablehnung der neuen Umwelt. Das Unbehagen an der ungewohnten Umgebung kann bis hin zu physischen Problemen und Krankheiten führen. In der dritten Phase hat der Besucher langsam gelernt, unter den neuen Bedingungen zu leben und zu funktionieren, hat einige der lokalen Symbole und Rituale angenommen, wird selbstbewusster und fühlt sich wohler. In der vierten und letzten Phase bewegt man sich in der neuen Kultur schon sehr sicher und fühlt sich integriert. Dieses Stadium der Integration kann aber in der Regel oft nicht erreicht werden. Dies setzt voraus, dass man durch entsprechende Vorbereitung den Kulturschock schnell überwinden kann um ethnozentrische Sichtweisen abzulegen.
Ein Patentrezept zur Lösung von Konfliktsituationen bei Begegnungen von Menschen verschiedener Kulturen gibt es leider nicht, da auch die Konfliktbewältigung in den einzelnen Gesellschaften sehr unterschiedlich ausfällt. Der Versuch einer Konfliktbewältigung im offenen Gespräch, bei der man frank und frei die beobachteten Probleme anspricht, kann unter Umständen genau das Gegenteil des Erhofften bewirken - nämlich einen Rückzug des anderen, der sich bestätigt fühlt wenn er ohne Rücksicht des Gegenübers auf unangenehme Dinge angesprochen wird. Man sollte sich also zunächst einmal mit den Konfliktlösungsmechanismen der anderen Kultur vertraut machen. Wie aber frühzeitig feststellen, dass es überhaupt Probleme gibt und wodurch sie entstehen?
Regelmäßige Reflexionen über das Erlebte und die eigenen Handlungen lassen erkennen, was in der Begegnung mit dem anderen Menschen nicht ganz stimmig ist.
Aufbauend auf dieser Sensibilisierung nehme ich in der nächsten Situation vielleicht mehr (potentielle) Schwierigkeiten wahr und bemerke früher, wann sie auftreten. Durch die Änderung meines Handelns und meiner Reaktionen auf den anderen Menschen kann ich in der auf meiner Wahrnehmung aufbauenden Reflexion Fehler vermeiden. So kommt man selbst Schritt für Schritt weiter.
Eine Eskalation kann dadurch vermieden werden.
Nachricht bearbeitet (17.06.05 13:32)
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