Autor: ND Mohn
Datum: 07.12.12 19:15
Wir sind heute doch alle gerne individualistische Kinder der Globalisierung. Land und Nationalität werden lieber verdrängt. Politik ist nicht unsere Sache. Wir promoten uns lieber selbst, wir schmieden unser persönliches Glück, losgelöst von unserer Herkunft und Heimatgemeinde.
Ja, es gibt in manchen Teilen der Welt politischen Aufruhr, Straßendemonstrationen für Freiheit und Menschenrechte. Aber wir, die Rumänen, haben damit doch nicht zu tun. Rumänien ist ein demokratisches Land und Teil der EU, einer der wohlhabenden und freiheitlichen Regionen der Welt. Ja, zu viel läuft bei uns in Rumänien schlecht, und unsere Verachtung für die Politik und ihre korrupten, demagogischen Vertreter könnte nicht größer sein. Aber bei uns werden keine Menschen hinter Gittern gesetzt, weil sie ihre politische Meinung äußern. Wir können ja ungehindert auf die Straße gehen, in der Blogosphäre unsere politischen Ansichten kundtun. Nur wir wissen, wir können eh nichts ändern. Es bringt nichts. Der Bürger kann das politische Geschehen in Rumänien nicht beeinflussen. Das Regieren des Landes liegt in den Händen einer scheinbar fest etablierten politischen Klasse, die unabhängig vom Parteilager ausschließlich die eigenen Interessen im Blick hat. Und wir können nichts ändern!
Wir denken also, wir sind gut beraten lieber unser eigenes Leben im Fokus zu haben, unsere Karriere und den eigenen Wohlstand zu fördern. Viele denken, das geht doch viel besser im Ausland und entscheiden sich, das Land zu verlassen.
Ein Gefühl der eigenen Hilflosigkeit und Entfremdung begleitet uns jedoch in der Welt, lässt uns nicht los. Und alle vier Jahre sucht uns eine störende Frage heim: Was soll man am kommenden Wahlsonntag machen? Keine der aufgestellten Parteien ist nach gutem Wissen und Gewissen würdig gewählt zu werden. Wunder kann man nicht erwarten. Also lieber nicht wählen, den Tag ignorieren? Politik geht uns doch nichts an! Stattdessen ins Kino gehen? Exquisit kochen? Einen Krimi lesen?
Die Realität ist, dass Rumänien sich Stück für Stück zerreißt. Das Land ist zerfahren wie nie zuvor, wir alle erstarrt in Gleichgültigkeit. Pandoras Büchse ist bei uns zwar schon immer offen gewesen. Das kommunistische Übel vernichtete die Würde, das Vertrauen, den Mut, die Ehrlichkeit, die Zuversicht, den Rückgrat der Meisten. Zur Stunde null, im Dezember 1989, konnte aber endlich mal auch die kleine Hoffnung aus der Büchse entweichen. Sie hat gut zwanzig Jahre alles getan, was sie tun konnte. Es gab viele Probleme, aber auch sie, die Hoffnung. Nun, nach gut zwanzig Jahren, ist sie irgendwohin wieder verschwunden, und mit ihr verlassen noch mehr junge Menschen das Land.
Nun ja, ich persönlich bin schon seit Jahren weg. Noch mehr weg gehen kann ich nicht. Und zurück auch nicht. Mir persönlich geht es wirtschaftlich eigentlich prima. Ich fühle mich jedoch wie einen politischen Asylanten, den niemand verfolgt. Wenn ich meine alte Heimatstadt besuche, gehe ich durch ihre Straßen, als wäre ich aus Glas. Ich schaue mir die Menschen an und könnte an unserer Bedeutungslosigkeit zerbrechen. Wenn ich online die rumänischen Zeitungen lese, dann bereue ich schon nach zehn Minuten die verschwendete Zeit. Alles beim alten, obwohl streng genommen ständig was Neues, Skandalöses, Absurdes, Unerhörtes, Aberwitziges passiert. Die politische Klasse übertrifft das Absurde Theater. Der gesunde Menschenverstand kapituliert. Und wir können nichts ändern!
Also noch einmal: was machen wir jetzt am Wahlsonntag? Ich glaube, realistisch gesehen darf man jene erträumte politische Kraft, die das Land über Nacht in eine perfekte Volkswirtschaft und Demokratie verwandeln soll, vergessen. Das ist Wunschdenken. Es wird nie so kommen, denn die Dinge laufen in der Politik im Allgemeinen - und in Rumänien im Besonderen - anders. „Der Fortschritt ist eine Schnecke“ sagt Günter Grass. Insbesondere der politische und wirtschaftliche, das kann jeder feststellen.
Ich für mich habe nach langem Überlegen entschieden, dass man sich heutzutage politisch mit dem kleineren Übel abfinden muss. Dass es uns Rumänen zufrieden stellen sollte, wenn eine Partei sich nicht vornimmt, das gesamte Land schon wieder in den Mülleimer der Geschichte weg zu werfen. Dass es uns schon ausreicht, wenn die von uns gewählte Partei einfach nur geringfügig besser (europäischer, demokratischer) als die Vorgängerregierung ist.
Wo auch immer wir uns befinden und unser persönliches Glück in unserem befristeten Dasein suchen – in Rumänien oder im Ausland, sollen wir am Sonntag das kleinere Übel wählen gehen. Damit geben wir Rumänien und uns die Chance, mit jedem Jahr etwas besser dran zu sein und langfristig ein modernes, voll entwickeltes Land zu werden. Es ist lediglich eine Chance, leider keine Garantie, deshalb sollen wir alle dran bleiben, egal wie hoffnungslos und langsam alles erscheint. Das Bewusstsein dieser Langsamkeit und die notwendige Geduld sollen uns am Sonntag zur Wahl begleiten. Insbesondere das Bewusstsein, dass unsere Stimme ein Tropfen Hoffnung ist in einem Meer von Gleichgültigkeit, Verbitterung und Verzweiflung. Nichts mehr, nichts weniger. Aber: wer weiß, was mehrere Tropfen Hoffnung alles bewirken können?
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