Autor: albi
Datum: 20.11.05 10:05
Hallo,
vor kurzer Zeit haben meine Frau und ich unser Patenkind in Rumänien (Alba Iulia) besucht und möchten evtl. Interessierten gerne unsere Eindrücke schildern.
Zur Information: Das Heim in dem sich unser Patenkind befindet beherbergt 57 Kinder.
Bei unseren Schilderungen möchten wir mehr unser subjektives Gefühl wiedergeben, ohne jeglichen Anspruch auf Objektivität der Beurteilung der Situation oder der Lage der Menschen in Rumänien.
Obwohl wir jetzt schon über 2 Wochen wieder zu Hause sind, gelingt es uns immer noch nicht, einen wirklich klaren Gedanken zu fassen.
Die Eindrücke in den 8 Tagen unseres Aufenthaltes waren so gewaltig, dass unsere Köpfe und Herzen übervoll sind.
Aber von Anfang an.
Schon ca. 4 Wochen vor unserer Fahrt begannen wir (fast täglich) Sachen für die Kinder und das Heim zu suchen und zu kaufen.
Über Ebay stießen wir dabei auf eine Frau bei der wir ein paar Decken kaufen wollten.
Als sie von unserem Vorhaben hörte schickte sie uns gleich ca. 30 neue Bettbezüge,
ca. 20 Decken und etliche kleine ganz süße Kissen für die Kinder mit.
Mehr als unserem Geldbeutel tat es unseren Seelen gut, dass wir in ihr eine Gleichgesinnte gefunden hatten.
Mit den 2 Rechnern die wir mitnahmen und den unzähligen anderen Sachen war unser Auto zum Bersten voll.
Obwohl wir für uns nur das Nötigste mitgenommen hatten (Unterwäsche, Socken, etc.),
bekamen wir es kaum noch ins Auto.
Unsere Jacken klemmten wir hinter unsere Kopfstützen, wo sie gerade noch einigermaßen Platz fanden.
Vorgewarnt durch einige Beiträge in einschlägigen rumänischen Foren und Chats im Internet
(Fahrt nur nicht mit dem Auto dort hin, es wird garantiert geklaut. Bestecht den Zollbeamten, sonst geht gar nichts, etc. p. p.)
machten wir uns früh morgens um 5 Uhr auf die Fahrt.
Nach ca. 10 Stunden erreichten wir Neusiedl am See, wo wir ein Zimmer gebucht hatten
(Neusiedl liegt an der Grenze Österreich/Ungarn).
Das Zimmer war prima.
Das Frühstück stellte uns die Vermieterin schon abends aufs Zimmer, weil wir wieder um 5 Uhr losfahren wollten.
Dann ging es weiter. Die Fahrt quer durch Ungarn verlief auf der Autobahn problemlos,
wobei die etwa letzten 80 km auf der Landstraße schlimm waren.
Plötzlich auftauchende Schlaglöcher und bis zu ca. 30 cm hohe Wellen an den Straßenrändern,
machten das Autofahren zum Konzentrationstraining.
Je näher wir der rumänischen Grenze kamen, desto aufgeregter wurden wir.
Wie werden sich die Zöllner verhalten, werden wir alle Sachen behalten dürfen,
müssen wir die Rechner verzollen, sollen wir die Zöllner bestechen und wenn ja wie, gibt man ihnen 20 Euro oder 50 Euro und wie macht man das überhaupt?????
1000 Fragen die in unseren Köpfen kreisten.
Dann endlich, die so sehr gefürchtete rumänische Grenze.
Zuerst staunten wir, dass dort nicht wie von vielen beschrieben, ein endlos langer Stau war,
sondern nur 3 Autos vor uns standen.
Nach ca. 30 Minuten Wartezeit, ... Passkontrolle.
Der Zöllner schaut in die Reisepässe "alles in Ordnung, gute Fahrt".
Ein paar Meter weiter Zollkontrolle, wir zeigen noch einmal unaufgefordert unsere Pässe
(immer noch mit Bammel in der Hose).
"Wo fahren Sie hin?"
"Nach Alba Iulia in ein Kinderheim!"
Als er nicht richtig verstand zeigen wir ihm ein Brief-Couvert das wir zuvor aus dem Heim bekommen hatten.
Er überflog es und ……….
"Gute Fahrt!"
Wir konnten es nicht glauben, da haben wir uns vorher so verrückt gemacht und dann verlief alles so problemlos.
Von jetzt an erlebten wir eine Welt, wie wir sie uns vorher nicht vorstellen konnten und
sie zu schildern mir auch wohl nur annähernd gelingt.
Weil es in Rumänien keine Autobahnen gibt, ging es auf (zuerst noch) halbwegs guten Landstraßen weiter.
Weil auf den ersten ca. 100km vor uns ein Rumäne fuhr, kamen wir ganz zügig voran.
D.h. er fuhr, als sei der Teufel leibhaftig hinter ihm her und ich hing mich dran.
Ich dachte, dann können wir ja nichts verkehrt machen, selbst wenn er teilweise mit 160 durch die Dörfer bretterte
(er war ja Rumäne und wird schon wissen was richtig ist. Wobei ich es heute anders machen würde!!!).
Die Straßen, auch in den Dörfern, waren meist nicht befestigt.
Auf den Straßen Pferdewagen, rechts und links liefen die Menschen mit Kühen, Hunden oder anderem Getier.
Wir sahen viele abgestellte uralte Autos und mussten später feststellen, dass die nicht abgestellt, sondern noch in Gebrauch waren.
Was uns aber regelrecht erschütterte war, als wir Kinder sahen die an den Straßenrändern standen und auf dem Strich gingen.
Mädchen, die vielleicht 12-14 Jahre alt waren!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Mir wurde übel, wenn ich an die biederen LKW- oder anderen Fahrer dachte, die mit den Kindern.........................
Das hat mich so bedrückt, dass es mir heute noch tief nachgeht.
Gegen 16 Uhr kamen wir nach ca. 11 stündiger Fahrt im Heim in Alba Iulia an
und stiegen nach jetzt insgesamt 1760km mit ein wenig wackeligen Beinen aus.
Gerastet hatten wir eigentlich nur kurz um zu tanken.
Das Kinderheim war an rumänischen Verhältnissen gemessen sehr schön.
Die Kinder hatten geräumige Zimmer mit Waschgelegenheit, in denen sie zu zweit wohnten
und das sie sich nach ihrem Geschmack mit Bildern etc. verschönt hatten.
Empfangen wurden wir von der Heimleiterin (eine ehemalige Krankenschwester aus Bethel, die das Heim zusammen mit ihrer Schwester aufgebaut hat), einigen Mitarbeitern des Heimes,
sowie die Sekretärin, zu der ich später noch schreiben werde.
Nach dem Austausch von ein paar Höflichkeiten, holten sie dann die beiden Mädchen
(unser Patenkind und ihre Freundin, zu der wir auch schon brieflichen Kontakt hatten).
Die anfängliche Verlegenheit legte sich sehr schnell, nachdem wir sie fest gedrückt hatten.
Wir packten dann zusammen mit einer Menge Kinder den Wagen aus.
Nachdem wir wochenlang alles zusammengetragen hatten und Stunden brauchten um den Wagen zu beladen, wunderte ich mich schon ein wenig, wie schnell alles ausgeladen war.
Die Freude bei den Kindern war nicht überschwenglich, aber an den Gesichtern konnten wir merken, wie gut es ihnen tat.
(Fast alle Kinder sind übrigens Straßenkinder. Einige wurden auch von ihren Eltern dort abgegeben).
Die Schicksale der Kinder sind zum Teil so dramatisch, dass wir lange Zeit einfach nur erschüttert und sprachlos waren.
Sie hier zu schildern würde den Rahmen sprengen. Nur ein Beispiel: nach drei Tagen gesellte sich ein 15 jähriges Mädchen zu uns, das wir zum Essen mitnahmen. Sie war dabei, als der Vater ihre Mutter auf brutalste Weise erschlug.
Das erfuhren wir natürlich nicht von dem Kind. Vergewaltigungen der Kinder, totale Verwahrlosung, Schläge und, und, und, ich mag das alles nicht näher erläutern,
weil mir allein beim Gedanken daran, selbst jetzt noch die Hände beginnen zu zittern.)
Nachdem die Sachen ausgepackt waren, fuhren wir mit den Kindern in unser Hotel.
Sie staunten natürlich, zumal sie nie ein Hotel von innen gesehen hatten.
Unser Staunen hielt sich dagegen in Grenzen. An der Rezeption war man eher wie unser Zimmer "reserviert" und eingebildet.
Das Haus erinnerte mich ein wenig an Gelsenkirchener Barock der schon bessere Zeiten gesehen hatte.
Das hätte uns nichts ausgemacht, zu wir eher genügsam sind.
Aber dass sie so arrogant und hochnäsig waren störte mich enorm.
Das einzig wirklich hervorragende an dem Hotel war der für rumänische Verhältnisse enorme Preis von 70 Euro pro Nacht.
Wir fuhren mit den Mädchen wieder ins Heim und aßen dort mit ihnen und den anderen Kindern zu Abend.
Danach dann wieder ab ins Hotel, es war inzwischen nach 21 Uhr und wir fielen todmüde ins Bett.
Nachdem ich gegen 5.30 Uhr aufstand, ging mein erster Weg mit Herzklopfen zum Fenster, mich fragend "steht unser Auto noch da?"
(wir waren ja gewarnt, "die klauen wie die Raben") und es stand noch dort, genau wie an allen anderen Tagen auch.
Weil die beiden Kinder noch in der Schule waren, hatten wir Gelegenheit uns mit der Heimleitung ausführlicher über die beiden, aber auch über die Zustände in Rumänien zu unterhalten.
So erfuhren wir u.a., dass der Durchschnittsverdienst im Monat bei ca. 150-250 Euro liegt, bei Lebenshaltungskosten die nur ca. 20% unter den unserigen liegen.
Gefragt wie sie das denn machen, wenn man bedenkt das einige 5-6 Kinder haben, zucken sie nur mit den Schultern und sagten
"irgendwie kommen sie immer durch".
Wie das Durchkommen aussah konnten wir dann einen Tag später selber erleben.
Auf innigen Wunsch unseres Patenkindes fuhren wir mit ihr und ihrer Freundin in ihre ca. 300km entfernte Heimatstadt Bistrita.
Dort angekommen trafen wir zufällig ihre "alte" Freundin. Die beiden waren wie "aus dem Häuschen".
Sie sprangen sich förmlich an und weinten aus Wiedersehensfreude herzerweichend.
Auf Bitten und Drängen der beiden gingen wir dann mit zu der Freundin nach Hause.
Und das war wieder eine Begegnung die uns erschütterte und zugleich unser Herz zutiefst berührte.
Durch einen ca. 20 Meter langen und ca. 1,60 Meter hohen grottenähnlichen Gang kamen wir zu einem (ich kann es nicht anders nennen) Verschlag, in dem man bei uns nicht mal Schweine halten würde, da wären die Tierschützer auf den Barrikaden.
In dem ca. 2 Meter breiten und vielleicht 5 Meter langen Raum lebte die Familie mit 2 Töchtern im Alter von 8 und 15 Jahren, also mit 4 Personen!!
In dem Raum gab es keine Fenster, das Licht kam von einer nackten Glühbirne, die von der Decke hing.
Trotzdem (oder gerade deshalb??) sind wir selten mit solch tiefer Herzlichkeit empfangen worden.
Die Mutter war eine Seele von Mensch. Wie sie mit den Kindern und uns umging hat uns sehr tief berührt.
In den kommenden Stunden sind wir mit ihnen in eine Pizzeria essen gegangen und hatten so Gelegenheit sie (aber auch unser Patenkind) näher kennen zu lernen.
Es waren für alle sehr glückliche Stunden, in denen die Verständigung mit Händen und Füßen prima klappte.
(Dabei erfuhren wir, dass der Vater, wie bei vielen anderen Familien, Alkoholiker war. Das heißt, dass von den 150 verdienten Euro auch nicht mehr viel blieb. Fragt uns nicht von was die Familie lebte, wir wissen es nicht! Vom Stehlen aber ganz sicher nicht!!).
Als wir wieder fuhren, mussten wir versprechen ihnen zu schreiben und die Bilder zu schicken, die wir gemacht hatten, was wir natürlich auch machen.
Zum Abschied machte sie uns das größte Kompliment, indem sie sagte "ihr von Bistrita".
Und es sollte wohl heißen wie " ihr seid wie wir" oder "ihr seid ein Teil von uns".
Als wir sie beim Abschied alle drückten, waren wir den Tränen nahe und wir winkten noch, auch als wir sie nicht mehr sahen.
Die anschließende Fahrt zum Schloss (Hotel) Dracula (es war der Wusch der Kinder) war der reinste Horror.
Aber weniger wegen Dracula, als mehr der furchtbaren Straßenverhältnisse wegen.
Auf ein Auto kamen ca. 10 Pferdewagen, die besonders auf der dunklen Heimfahrt sehr gefährlich waren.
Sie tauchten plötzlich wie aus dem Nichts auf, sodass das Fahren wirklich zum Abenteuer wurde.
Es konnte auch passieren, dass man sich plötzlich einem einfach abgestelltem Auto gegenüber sah oder einem Bauer mit Kuh oder Handkarren,
von den unvorstellbaren Schlaglöchern mal ganz abgesehen (nächste Woche lasse ich mal sicherheitshalber die Stoßdämpfer überprüfen).
Das Schloss selbst war nichts dolles für die Kinder.
Dafür fanden wir auf der Heimfahrt ein Restaurant Dracula, das man ziemlich unheimlich ausgestattet hatte.
Als der Kellner mit Draculamaske und Fledermauskostüm auch noch die Kinder überraschte, war der Spaß für sie natürlich nicht zu überbieten.
In der Nacht schliefen wir alle 4 bestimmt gleich gut (wir nach der über 600km abenteuerlichen Fahrt und die Kinder wegen der aufregenden Erlebnisse).
An einem der nächsten Tage fuhren wir zu fünft (es war noch ein Mädchen hinzugekommen) nach Sibiu (Hermannstadt) zu Mac Donalds.
Das liegt etwa 60km von Alba Iulia.
Anschließend gingen wir noch ein Eis essen.
Wie die Augen der drei bei Mac Donalds leuchteten brauche ich wohl nicht zu beschreiben. Da sind wohl die Kinder in der ganzen Welt gleich.
Aber für die drei war es schon etwas besonderes, zumal sie noch nie Gelegenheit hatten dort hinzukommen.
Als wir nach dem Essen in die Metro wollten, um für die Kinder ein paar Kleinigkeiten zu kaufen, verwehrte uns (zu Recht) die Kassiererin den Eintritt, weil wir keinen erforderlichen Ausweis hatten. Ein junger Mann der dass mitbekam bot sich an uns zu helfen. Er sprach irgendetwas auf Rumänisch mit der Kassiererin und wir durften herein. Anschließend drückte er mir noch seinen Metroausweis in die Hand und sagte „gehen Sie in Ruhe einkaufen, ich warte am Ausgang auf Sie“. Ein wildfremder Mensch!! Ich war so überwältigt, dass ich ihn gleich fest umarmte. Als ich ihm später für sein Entgegenkommen 10 Lei geben wollte, lehnte er es ab, mit den Worten „ich war mal für ein paar Jahre in Deutschland und dort hat man mir auch geholfen“ (es gab noch andere Erlebnisse in Sibiu, aber auch woanders, die uns sehr gut taten).
Auf der anschließenden über 1 stündigen Heimfahrt sangen die drei Mädchen hinten im Auto rumänische Volkslieder und Schlager, und meine Frau und ich wussten nicht, ob sie glücklicher waren oder wir.
Jedenfalls waren unsere Herzen übervoll mit Liebe zu den dreien und wir hätten sie am liebsten nie wieder gehen lassen, aber..................
Nun noch zu der Sekretärin.
Wir haben selten einen lieberen Menschen kennen gelernt als sie.
Die Kinder sprachen sie nur mit Mama an, obwohl sie gar nichts direkt mit ihnen zutun hat.
Sie war so sensibel, einfühlsam, geduldig und verständnisvoll, dass wir sie gleich tief in unsere Herzen geschlossen haben.
Als wir mit ihr sprachen sagte sie, " ich habe mich sehr auf den Tag gefreut, die Menschen kennen zu lernen, die den Kindern so liebe Briefe geschrieben und ihnen dadurch so viel Freude geschenkt haben".
Dabei hatte sie Tränen in den Augen.
Sie ist wirklich eine Seele von Mensch und für uns sehr, sehr wertvoll.
Wir sind sehr glücklich und dankbar, dass wir sie als Freundin haben und dass sie uns voraussichtlich noch im November besuchen kommt.
Während ich über sie schreibe, merke ich dass ich nicht in der Lage bin auch nur annähernd wiederzugeben was wir für sie empfinden.
Ich denke, dass wir sie ganz doll lieben, Punkt!
Am letzten Tag sangen die drei Mädchen auf ihrem Zimmer zur Gitarre Lieder aus ihrer Heimat und wir fühlten dabei eine so starke Verbundenheit zu ihnen, dass uns das Herz sehr, sehr schwer wurde.
Der Abschied war dann das Schlimmste.
Nicht genug dass wir sie jetzt zurück lassen mussten, weinte auch noch unser Patenkind so sehr, dass ich am liebsten in einem Loch verschwunden wäre.
Die folgende Nacht war nicht so doll.
Als wir am anderen Morgen Heim fuhren waren wir total aufgewühlt.
Wir sprachen sehr viel, oder schwiegen gemeinsam unseren schrecklichen und doch auch oft so wunderbaren Gedanken nachhängend.
Dass wir dabei etwa 2 Meter vom Straßenrand im Dreck einen Menschen in einer Decke eingewickelt schlafen sahen, trug sicher auch mit dazu bei, dass wir Rumänien nie vergessen werden.
Wir durften ein Land und deren Menschen erleben, die zwar (aus unserer Sicht) in bitterer Armut leben, die aber an Herzlichkeit kaum erreichbar sind.
Dafür sind wir tief dankbar.
Fred
PS wir haben versucht unsere Erlebnisse zu schildern. Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass ich an die Grenzen meiner Ausdrucksfähigkeit gekommen bin. Leider ist es mir nicht gelungen die gewachsene Liebe zu dem Land und besonders zu den Menschen denen wir begegnet sind, wieder zu geben. Zu tief und zu ergreifend waren die Begegnungen, als dass wir unsere wahren Empfindungen in Worte kleiden könnten.
Nachricht bearbeitet (31.01.06 08:24)
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