Autor: Marin
Datum: 28.09.03 18:11
Anjuschka, Du hast eine interessante Frage gestellt: wieso ist das Rumänische so eigentümlich, phonetisch, von Wortschatz her und überhaupt.
Zuerst möchte ich eine kleine Unklarheit ausräumen: Rumänisch ist in keiner Weise mit slawischen oder türkischen (!!!) Sprachen verwandt. Wieso ? Weil den Charakter einer Sprache die Grammatik und das Vokabular ausmacht:
- das Rumänische hat eine fast 100% lateinische Grammatik, eigentlich die „lateinischste" Grammatik unter den romanischen Sprachen (es hat aus dem Latein am meisten die Grammatik beibehalten)
- aus dem Gesamtwortgut der rumänischen Sprache etwa drei Viertel sind es lateinischen Ursprunges (als Direkterbe oder als spätere Entlehnungen), eigentlich wie in anderen romanischen Sprachen auch
Vereinzelte Worte aus anderen Sprachen beeinflussen den Charakter einer Sprache nicht: so gibt es im Italienischen fast genausoviele arabische Wörter wie türkische im Rumänischen, das macht die italienische Sprache mit der arabischen nicht verwandt, so wie auch der rumänischen keine Verwandtschaft mit der türkischen zuzuschreiben ist. Auch der spanische Wortschatz enthält fast so viele arabische Wörter wie der rumänische, slawische Wörter, der romanische Charakter der beiden Sprachen ändert sich dabei nicht.
Das, was Du richtig bemerkt hast, nämlich dass das Rumänische „anders" ist, ist Romanisten längst bekannt und wird als „die rumänische Ausnahme" in der linguistischen Fachwelt behandelt. (Falls Du interessiert bist, ich kann Dir weiterführende Literatur über das Thema empfehlen, übrigens, in jeder Fachbibliothek unter „Romanischen Sprachen" zu finden).
Nun, was macht das Rumänische doch so anders. Um es sehr kurz zu fassen, es ist die besondere und von der restlichen romanischen Welt völlig getrennte historische Entwicklung, die dazu geführt hat, dass das Rumänische so anders klingt. Dazu kommen noch ziemlich starke Einflüsse aus der vorrömischen Zeit (besonders in der Phonetik), relativ viele slawische Elemente im Vokabular und auch viele Entlehnungen aus allen Himmelsrichtungen.
Einige Beispiele:
- in allen romanischen Sprachen beträgt das vererbte lateinische Kernvokabular um 2000 Stammwörter, die dann etwa 20 - 30 000 weitere Wörter bilden. Dieses Sprachgut ist allen romanischen Sprachen gemeinsam... mit einer Ausnahme: das Rumänische, das etwa 130 Wörter von dieser gemeinsamen Erbe nicht hat. Dafür kennt die rumänische Sprache um 100 lateinische Erb-Stammwörter, welche den anderen romanischen Sprachen unbekannt sind. Also, doch um die 2000 lateinische Stammwörter, aber eben anders.
- auch in der Grammatik ähnelt sich das Rumänische dem lateinischen Großmutter am meisten und hat Formen erhalten, die in den anderen Schwester-Sprachen schon lange verlorengegangen sind. Das trägt zum eigenartigen Charakter des Rumänischen gegenüber anderen romanischen Sprachen bei. Es ist übrigens ein bekanntes Phänomen: Randgebiete einer Kultur, zumal wenn sie sich isoliert entwickeln, sind konservativer als das Zentrum (z.B. die heutige deutsche Sprache der Emigranten der dritten, vierten Generation irgendwo in Südamerika, klingt ganz antiquiert im Vergleich zum modernen Deutsch der BRD).
- das Rumänische hat auch vorlateinische Grammatikformen geerbt, wie z.B. den postponierten Artikel - die Endstellung des Artikels: so sagt der Rumäne „Kinddas" oder „Mutterdie" oder „Wolfder". Diese Eigenartigkeit macht Leuten, die nicht rumänisch können, die Identifizierung von Substantiven im Rumänischen nicht gerade einfach.
- die Infinitivform im Rumänischen endet nicht, wie in allen anderen romanischen Sprachen, in „-re", bzw. „-er": das macht es für Nichtrumänischsprechende schwierig, die Verben zu identifizieren
- die Aussprache hat auch ihre Eigenartigkeit: eine Mischung aus Dakisch (?), Lateinisch mit slawischen Einflüssen. Zwar zeichnen sich auch andere romanischen Sprachen durch ganz eigenartige Aussprachen aus, z.B. Portugiesisch oder Französisch, aber die relativ schwierigere Aussprache des Rumänischen kommt irgendwie zusätzlich als letzte und vielleicht schwierigste Hürde im Wege zu einer spontanen Verständigkeit. Während in anderen romanischen Sprachen kapiert man doch mal einen Substantiv, mal ein Verb, bleiben diese im Rumänischen getarnt in ihren seltsamen Wortendungen und verhüllt in der Aussprache, so dass man kaum Stützpunkte zum Verstehen bekommt.
Wenn man aber einen rumänischen Text liest und dabei gut eine andere romanische Sprache beherrscht, sieht das ganz anders aus: mit minimalem Geschick ist man imstande überraschend richtig und schnell den Text zu verstehen.
Für viele Deutsche, die als Fremdsprache außer Englisch, zumeist die ihrer türkischen Landsleute zum Hören bekommen, klingt vielleicht auch das Rumänische irgendwie türkisch.
Ist es aber nicht.
mit Sympathie,
MB
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